Ent/pathologisierung und Unterstützung
Auf der Trans*Tagung Berlin 2007 gab es nach einem Vortrag eine Diskussion darüber, welche (negativen und positiven) Auswirkungen die Pathologisierung von Trans* hat und welche Alternativen es dazu gibt. Das entscheidende Argument der "Befürworter_innen"* der Pathologisierung lautet: "Wenn Transsexualität keine Krankheit mehr ist, bezahlt die Krankenkasse die Hormone und OPs nicht mehr."
Ein Diskussionsteilnehmer wies darauf hin, dass es viele Gruppen gibt, die bestimmte Formen von Unterstützung brauchen und deshalb pathologisiert werden, die sich aber gegen diese Pathologisierung wehren. Zum Beispiel Gehörlose.
Zum Beispiel Autist_innen.
Ein Argument, das oft gegen Konzepte von Autismus als Kultur, gegen Autismus als eine andere Art zu sein oder gegen Autistic Pride hervorgebracht wird, ist: "Aber es gibt Autisten, die brauchen Unterstützung. Denkt auch mal an die." Ausnahmslos alle Menschen, ob autistisch oder nicht, brauchen Unterstützung. Krankheit hat damit nichts zu tun - selbst die Weltgesundheitsorganisation definiert Krankheit über "Leiden", nicht über den Bedarf an Unterstützung.
Leiden Autist_innen unter Autismus? Manche Autist_innen leiden darunter, dass ihre Umwelt Forderungen an sie stellt, die sie nicht erfüllen können (und oft auch nicht wollen), manche Autist_innen leiden darunter, dass ihr Verhalten negativ sanktioniert wird. Manche leiden darunter, dass sie keine Freunde haben oder keinen Arbeitsplatz, manche leiden unter Mobbing. Manche leiden darunter, dass sie nicht ernst genommen werden, manche leiden darunter, dass sie als krank bezeichnet werden.
Was heißt schon Autismus? Eine Art, die Welt wahrzunehmen, eine Art zu sein (vereinfacht gesagt; natürlich nehmen alle Menschen die Welt unterschiedlich und sind alle unterschiedlich). Diese Wahrnehmung der Welt und dieses Sein in der Welt ist aber in ihren Auswirkungen nicht zu trennen von der Welt. Wenn "die Welt", d.h. Menschen einem zu verstehen geben, dass "mit einem etwas nicht stimmt", dass man so, wie man ist, nicht akzeptiert wird, tendieren viele Menschen dazu, diese Zuschreibungen zu akzeptieren. Das ist nicht unverständlich; die anderen sind viele, die Auswirkungen dieser Zuschreibungen haben realen und konkreten Einfluss auf das Leben der einzelnen (vereinzelten) Person.
Eine Autismus-Diagnose heißt in dieser Situation: 'Ja, mit dir stimmt was nicht und es heißt Autismus.' Bei autistischen Erwachsenen löst das oft ein (gefährliches) Gefühl der Erleichterung aus: "Endlich weiß ich, was mit mit los ist und warum ich so viele Probleme habe, so viel Mist erlebt habe." Gefährlich ist vor allem der zweite Teil des Satzes.
Ihr habt keinen Mist erlebt, weil irgend etwas an euch falsch wäre, sondern weil andere Leute euch Mist haben erfahren lassen.
Wenn wir Behinderung als eine kulturell konstruierte Kategorie im Kontext struktureller Diskriminierung und gesellschaftlicher Barrieren sehen, könnte jeder Unterstützung aufgrund einer Situation, in der er_sie sich befindet, bekommen, nicht wegen persönlicher Unzulänglichkeiten. Behinderung sollte als ein Begriff verstanden werden, der nicht über eine Person aussagt, sondern über eine Situation, in der sie sich befindet.
Aber wahrscheinlich versteht das keiner, und die Transen würden nicht mitmachen, weil sie nicht behindert sind, die Autist_innen sind es aber schon, und die Autist_innen würden nicht mitmachen, weil sie nicht behindert sind, die Gehörlosen sind es aber schon, und die Ge...
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* "Befürworter_innen" steht in Anführungszeichen, weil auch sie nicht alle Trans* als "Störung" o.ä. betrachten, sondern diese Einordnung zum Teil eher als Mittel zum Zweck betrachten.
Ein Diskussionsteilnehmer wies darauf hin, dass es viele Gruppen gibt, die bestimmte Formen von Unterstützung brauchen und deshalb pathologisiert werden, die sich aber gegen diese Pathologisierung wehren. Zum Beispiel Gehörlose.
Zum Beispiel Autist_innen.
Ein Argument, das oft gegen Konzepte von Autismus als Kultur, gegen Autismus als eine andere Art zu sein oder gegen Autistic Pride hervorgebracht wird, ist: "Aber es gibt Autisten, die brauchen Unterstützung. Denkt auch mal an die." Ausnahmslos alle Menschen, ob autistisch oder nicht, brauchen Unterstützung. Krankheit hat damit nichts zu tun - selbst die Weltgesundheitsorganisation definiert Krankheit über "Leiden", nicht über den Bedarf an Unterstützung.
Leiden Autist_innen unter Autismus? Manche Autist_innen leiden darunter, dass ihre Umwelt Forderungen an sie stellt, die sie nicht erfüllen können (und oft auch nicht wollen), manche Autist_innen leiden darunter, dass ihr Verhalten negativ sanktioniert wird. Manche leiden darunter, dass sie keine Freunde haben oder keinen Arbeitsplatz, manche leiden unter Mobbing. Manche leiden darunter, dass sie nicht ernst genommen werden, manche leiden darunter, dass sie als krank bezeichnet werden.
Was heißt schon Autismus? Eine Art, die Welt wahrzunehmen, eine Art zu sein (vereinfacht gesagt; natürlich nehmen alle Menschen die Welt unterschiedlich und sind alle unterschiedlich). Diese Wahrnehmung der Welt und dieses Sein in der Welt ist aber in ihren Auswirkungen nicht zu trennen von der Welt. Wenn "die Welt", d.h. Menschen einem zu verstehen geben, dass "mit einem etwas nicht stimmt", dass man so, wie man ist, nicht akzeptiert wird, tendieren viele Menschen dazu, diese Zuschreibungen zu akzeptieren. Das ist nicht unverständlich; die anderen sind viele, die Auswirkungen dieser Zuschreibungen haben realen und konkreten Einfluss auf das Leben der einzelnen (vereinzelten) Person.
Eine Autismus-Diagnose heißt in dieser Situation: 'Ja, mit dir stimmt was nicht und es heißt Autismus.' Bei autistischen Erwachsenen löst das oft ein (gefährliches) Gefühl der Erleichterung aus: "Endlich weiß ich, was mit mit los ist und warum ich so viele Probleme habe, so viel Mist erlebt habe." Gefährlich ist vor allem der zweite Teil des Satzes.
Ihr habt keinen Mist erlebt, weil irgend etwas an euch falsch wäre, sondern weil andere Leute euch Mist haben erfahren lassen.
Wenn wir Behinderung als eine kulturell konstruierte Kategorie im Kontext struktureller Diskriminierung und gesellschaftlicher Barrieren sehen, könnte jeder Unterstützung aufgrund einer Situation, in der er_sie sich befindet, bekommen, nicht wegen persönlicher Unzulänglichkeiten. Behinderung sollte als ein Begriff verstanden werden, der nicht über eine Person aussagt, sondern über eine Situation, in der sie sich befindet.
Aber wahrscheinlich versteht das keiner, und die Transen würden nicht mitmachen, weil sie nicht behindert sind, die Autist_innen sind es aber schon, und die Autist_innen würden nicht mitmachen, weil sie nicht behindert sind, die Gehörlosen sind es aber schon, und die Ge...
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* "Befürworter_innen" steht in Anführungszeichen, weil auch sie nicht alle Trans* als "Störung" o.ä. betrachten, sondern diese Einordnung zum Teil eher als Mittel zum Zweck betrachten.
reallife - 9. Feb, 15:51