Diagnostische Vielfalt
Weil ich auf einen Ausschnitt aus der „Geschichte der Psychiatrie” von Edward Shorter (S.443) gestoßen bin, den ich kurios und interessant genug finde, um ihn hier zu zitieren (wenngleich auch Shorter in seiner Analyse leider innerhalb der psychiatrischen Disziplin und ihrer Perspektive verbleibt), knüpfe ich hier an das Thema des vorhergehenden Postings an:
Ein und derselbe Patient konnte in dem einen Land eine völlig andere Diagnose zu hören bekommen als in einem anderen. Nehmen wir zum Beispiel la bouffée délirante ('Wahnsinnsanfall') aus Frankreich - eine Diagnose, für die es nirgends irgendwo sonst ein Äquivalent gab. 'Die Engländer nennen nahezu jede Art von emotionalem Problem 'Neurose'', schrieb der große Psychiatriehistoriker Henry Ellenberger Mitte der fünfziger Jahre. 'Die Franzosen wiederum gehen sehr freizügig mit der Diagnose Schwachsinn um.' Und was die Schweizer anbelangt, so beklagen die Franzosen, daß dort 'bei 90 Prozent Psychotikern und 50 Prozent Normalen' Schizophrenie diagnostiziert werde'.
Aber niemand traf die Diagnose Schizophrenie häufiger als die Amerikaner. Sie war das große Faible der amerikanischen Psychiatrie. In einer Studie etwa wurde 46 amerikanischen und 205 britischen Psychiatern ein Video über 'Patient F.' vorgeführt, einem jungen Mann aus Brooklyn, der unter einer hysterischen Lähmung seines Arms und heftigen Stimmungsschwankungen litt, die man seinem Alkoholmißbrauch zuschrieb. 69 Prozent der Amerikaner, aber nur zwei Prozent der Briten diagnostizierten 'Schizophrenie'.
Shorter kommentiert dies: Solche nationalen Unterschiede auf der internationalen Bühne waren höchst unprofessionell und peinlich, denn die vermittelten den Eindruck, als sei die Psychiatrie wesentlich weniger an Wissenschaftlichkeit als an nationalen Traditionen orientiert und als sei sie eher Teil der Folklore denn der Medizin.
Tja, ist sie das denn nicht? Wohlgemerkt scheint es die Psychiater nicht zu stören, das sie unterschiedliche (aus ihrer Sicht zwangsläufig falsche) Diagnosen stellen, sondern dass sie sich auf "internationaler Bühne" blamieren. Da fragt man sich, welches Stück hier gespielt wird und ob es eine Komödie oder eine Tragödie ist.
Ein und derselbe Patient konnte in dem einen Land eine völlig andere Diagnose zu hören bekommen als in einem anderen. Nehmen wir zum Beispiel la bouffée délirante ('Wahnsinnsanfall') aus Frankreich - eine Diagnose, für die es nirgends irgendwo sonst ein Äquivalent gab. 'Die Engländer nennen nahezu jede Art von emotionalem Problem 'Neurose'', schrieb der große Psychiatriehistoriker Henry Ellenberger Mitte der fünfziger Jahre. 'Die Franzosen wiederum gehen sehr freizügig mit der Diagnose Schwachsinn um.' Und was die Schweizer anbelangt, so beklagen die Franzosen, daß dort 'bei 90 Prozent Psychotikern und 50 Prozent Normalen' Schizophrenie diagnostiziert werde'.
Aber niemand traf die Diagnose Schizophrenie häufiger als die Amerikaner. Sie war das große Faible der amerikanischen Psychiatrie. In einer Studie etwa wurde 46 amerikanischen und 205 britischen Psychiatern ein Video über 'Patient F.' vorgeführt, einem jungen Mann aus Brooklyn, der unter einer hysterischen Lähmung seines Arms und heftigen Stimmungsschwankungen litt, die man seinem Alkoholmißbrauch zuschrieb. 69 Prozent der Amerikaner, aber nur zwei Prozent der Briten diagnostizierten 'Schizophrenie'.
Shorter kommentiert dies: Solche nationalen Unterschiede auf der internationalen Bühne waren höchst unprofessionell und peinlich, denn die vermittelten den Eindruck, als sei die Psychiatrie wesentlich weniger an Wissenschaftlichkeit als an nationalen Traditionen orientiert und als sei sie eher Teil der Folklore denn der Medizin.
Tja, ist sie das denn nicht? Wohlgemerkt scheint es die Psychiater nicht zu stören, das sie unterschiedliche (aus ihrer Sicht zwangsläufig falsche) Diagnosen stellen, sondern dass sie sich auf "internationaler Bühne" blamieren. Da fragt man sich, welches Stück hier gespielt wird und ob es eine Komödie oder eine Tragödie ist.
reallife - 3. Feb, 19:25